Marion Magas
Ein Jahrhundert der Inselphotographie
Auf 252 Seiten ist die Geschichte von Max Ebel, Ilse Ebel und Maya Löffler mit insgesamt 278 Photographien kombiniert. Es ist die Geschichte der drei Inselphotographen von 1910 bis zum Jahr 2009.
„Drei Photographen – ein Jahrhundert: Von den großen Aufbrüchen der Lichtbildnerei in der ersten Hälfte des Jahrhunderts über die technischen Raffinessen in den Hochzeiten der Photographie, in seiner Mitte, bis zum Finale der volkseigenen Knipskunst und zur Gegenwart der digitalen Aufnahmen, an seinem Ende, reicht der Bilderreigen. Man durchblättert das Buch mit Staunen, etwa so, als durchwandle man eine Ausstellung, in deren Mittelpunkt natürlich stets die Insel ist, das süße Ländchen als Medium des Beständigen, aber auch im Wandel der Zeiten, der Technik und unseres Wissens über beides.“ (Tilo Köhler)
„Wenn man ans Meer kommt, soll man zu schweigen beginnen…“
So beginnt eines der schönsten Gedichte Erich Frieds. Sicher hat er, als er es schrieb, nicht an Hiddensee gedacht, aber ich, seine Leserin, denke immer an die Insel, wenn ich dieses Gedicht lese.
Daß Kunst die unterschiedlichsten Assoziationen und Gefühle in uns auszulösen vermag, wissen wir. Aber warum es so ist, bleibt ein Mysterium. Im Angesicht des Meeres soll man „aufhören sollen“, schreibt Fried, und „nichts mehr wollen wollen. Nur Meer.“
Für viele Menschen, die alljährlich die Ostseeinsel besuchen, stellt sich genau dieses Gefühl ein, sobald sie an einem der Insel-Häfen ankommen. Der Puls verlangsamt sich. Der Alltagsstreß bleibt zurück auf dem Festland.
Aber nicht nur das Meer, „die Seele der Erde“ (Arnold Zweig), ist der Grund für die innere Befriedung, auch das Aufeinandertreffen von Land und Wasser, das Spiel der Gezeiten, das, obwohl vertraut, Respekt einflößt.
Ich sehe mich als kleines Mädchen in den Sommerferien bei Sonnenaufgang mit Traute Hübners verbeulter Aluminiumkanne zur Molkerei in Vitte gehen, um ihre Milch abzuholen. Unter den Sohlen meiner Sandalen knirscht der grobkörnige Kies. Das Geräusch schneidet in die morgendliche Inselstille, so daß die Kühe auf der Weide mir neugierig ihre Köpfe zuwenden. Das war in den 50er Jahren. Hiddensee, die stille Insel, ist heute nicht mehr ganz so still, aber immer noch eine der stillsten Inseln Europas.
Ich erinnere mich an das Rote Holzhaus in Vitte, an der Kreuzung zwischen Norder- und Süderende, das meine Eltern Photobaracke nannten. Dort kauften die Hiddensee-Freaks ihre schwarz-weißen Ansichtskarten. Nicht am Zeitungskiosk.
Man schickte seinen Lieben diese Karten, die, mit Bedacht ausgewählt, keine glücklichen FDGB-Urlauber abbildeten, sondern das Aus-der-Zeit-Gefallen-Sein der Insel.
Aufnahmen von Windflüchtern, verkrüppelten Kiefern, ins Inselinnere gewachsen; von Sturmfluten in den 50er Jahren; von der Hucke; dem Inselblick, auf dem Hiddensee sich im Meer räkelt, rechts die Ostsee, links der Bodden, am Horizont die Türme von Stralsund. Aufnahmen vom altehrwürdigen Leuchtturm mit seiner roten Kappe, von wehender Wäsche im Ostseewind auf Neuendorfs Wiesen, von der Lietzenburg, von knarzigen Fischern beim Netzeflicken, von Sonnenuntergängen, betrachtet durch angeschwemmtes Wurzelgeflecht, von kunstvollen Strand-Trutzburgen aus Treibgut am Bessin, von irritierten Kuhherden auf den Salzwiesen, von Schwalbennestern unter Reetdächern, sonnendurchfluteten Sanddornhecken, Fischreihern, Möwen und einsamen Strandpassagen.
Die Inselphotographen: Das waren nicht die, die auf die Insel kamen, um zu photographieren, das waren die, die als Photographen auf der Insel lebten: Max Ebel, Ilse Ebel, seine Tochter und Maya Löffler, deren Nachfolgerin.
So viel auch schon über die Insel publiziert worden ist, diese Menschen und ihre Photos standen noch nie im Fokus eines Hiddenseebuches. Daß dieser Schatz nun endlich gehoben wurde, ist Marion Magas zu danken, Autorin und Inselführerin.
Eine Insel im Wandel der Zeit und Gezeiten: gesehen im Laufe eines Jahrhunderts durch drei Augenpaare und verschiedene Linsen.
Barbara Thalheim, März 2012